BRIGANTEN
BRIGANDS, CHAPITRE VII
Frankreich/Georgien 1996. Produktion: Pierre Grise Prod./La
Sept Cinema/Sojuzservice/Bim Distribuzione/Carac Film/Canal +/Centre
national de la Cinématographie. Produzentin: Martine Marignac. Regie
und Buch: Otar Iosseliani. Kamera: William Lubtchansky. Musik: Nicolas
Zourabichvili. Schnitt: Otar Iosseliani. Darsteller: Amiran
Amiranachvili (König Vano/Volkskommissar/Vagabund), Dato Gogibedachvili
(Ritter Sandro/Geheimdienstchef/Bettler), Guio Tzintsadze (Musiker
Spiridon), Nino Ordjonnikidze (Königin Eka/Terroristin/Passantin), Keti
Kapanadze (Lia, Frau des Sultans/Sandros Frau/Mafia-Sekretärin). 121
Min. FSK: ab 12; f. Verleih: Pegasos (O.m.d.U.).
Was sind das für
Zeiten, wenn sich der brotlose Künstler bei der morgendlichen
Alkoholbeschaffung vor schönen Heckenschützinnen hüten muß; ein
königlicher Seitensprung unter dem Beil des Scharfrichters und im
Folterkeller endet; ein meisterlich folternder Politkommissar durch die
Denunziation des Sohnes in eine mehr als mißliche Lage gebracht wird;
oder wenn die minderjährige Tochter eines Mafia-Bosses die ganze Sippe
mit einer MP tötet?
Nichts besonderes, sagt Otar Iosseliani, so ist
der Mensch, so war er immer, so wird er (leider) immer bleiben: grausam
und mit der verhängnisvollen Neigung, sein Menschsein recht
bereitwillig zu verleugnen. Iosseliani führt in ein kleines Land
"hinter dem eisernen Vorhang" und fächert in drei verschachtelten
Erzählsträngen dessen leidvolle Geschichte der letzten 500 Jahre auf.
Der mittelalterliche König Vano hat nicht nur ständig Schlachten mit
den Feinden seines - eigentlich glücklichen - Reiches zu schlagen, auch
die Königin bereitet Kummer, da sie trotz Keuschheitsgürtel Wege zur
Untreue findet. Das kostet sie den Kopf, und der Liebhaber wird in den
Verließen der Burg einer hochnotpeinlichen Unterfragung unterzogen.
Nach einem Buch übrigens, das sich auch 500 Jahre später noch großer
Beliebtheit erfreut, und bei den kommunistischen Machthabern hoch im
Kurs steht, wenn auch nur der nostalgischen Gefühle wegen, denn die
Mittel sind schon moderner geworden, der Zweck allein unterliegt der
alten Barbarei. Wer glaubte, mit der Abdankung der Kommunisten würde
der Friede in Vanos kleines Land einziehen, der braucht nur die
täglichen Nachrichten zu sehen, um eines Besseren belehrt zu werden.
Nun tobt ein sinnloser Bürgerkrieg jeder gegen jeden, und nur die
Mafia, die die Parteien mit schwerem Kriegsgerät versorgt, geht als
Gewinner aus den Scharmützeln hervor. Vor diesen Zuständen fliehen Vano
und seine Saufkumpane nach Paris. Dort ist man zwar auch nur Säufer und
Bettler, doch den Begriff des Chlochards umweht halt ein Hauch von
Kultiviertheit. Was man von der Mafia-Clique, die sich der Geschäfte
wegen ebenfalls in die Seine-Metropole zurückgezogen hat, gewiß nicht
behaupten kann. Sie praßt, säuft und hurt sich durchs Leben und geht -
solange man sie läßt - über Leichen. Aber da ist ja noch die
minderjährige Tochter.
Die Absicht des georgischen Regisseurs ist
glasklar und lobenswert, über die Ausführung kann man wohl geteilter
Meinung sein. Iosseliani hat seinen Film als böse Farce aufgezogen,
treibt mit dem Entsetzen Scherz; für ihn der einzig gangbare Weg, das
Grauen darzustellen, da jede realistische Darstellung die Menschen
lähmen würde. Das mag als Ansatz gelten, beiweitem jedoch nicht
jedermanns Geschmack sein. Gehauen, gestochen, gefoltert und geschossen
wird, was das Zeug hält, und über allem schwebt ein humoriger Oberton,
der den Film nicht gerade sympathisch macht. Dabei sind viele Szenen
und Szenenübergänge, die die einzelnen Epochen fließend verbinden und
die Zeit aufheben, durchaus gelungen und brennen sich in ihrer
Grausigkeit ins Gedächtnis ein, etwa jene Szene, in der ein
Polit-Kommissar, Folter- und Verhörexperte seinem Sohn sein Werkzeug
zeigt und ihn dann zwecks Beobachtung des arbeitenden Vaters hinter
einen Vorhang schickt. In dieser wie in vielen anderen Szenen bedient
sich Iosseliani eines für ihn typischen Slapstick-Stils, in dem
überhöhte Gesten das gesprochene Wort überflüssig machen, denn
"Briganten" ist wie viele seiner Filme fast ein Stummfilm, der mit nur
wenigen Worten und Dialogsätzen auskommt. In Iosselianis Filmen
erklären sich die Dinge, die Menschen und ihre Handlungen meist von
selbst, das Wort hat eine Notfunktion, wird häufig durch Gesten und
Geräusche ersetzt. Verstärkt wird dieser "Stummfilm-Charakter" noch
durch den Einsatz der Musik, die an die Kindertage des Films erinnert
und die Handlung "naiv" unterstützt.
"Briganten" ist ein betont
billig produzierter, in einigen Szenen geradezu unfertig wirkender
Film, in dem alle Beteiligten in jeder Epoche Rollen übernehmen und
schon durch diese personelle Kontinuität eine geschichtliche
signalisiert wird. Dabei werden die einzelnen Geschichtsepochen
keineswegs gleich gewichtet. Die Zeit des Kommunismus, die der an
Stalin gemahnenden Diktatoren, der Säuberungen und Massenerschießungen,
wird am ausführlichsten behandelt, darauf zielt Iosselianis Kritik,
seine Wut und seine Häme. Immer wieder zeigt er die Kinder der
Revolution, die von ihresgleichen gefressen werden, bis nichts mehr
überigbleibt als das blanke Chaos, das vielleicht wirklich nur im Suff
zu ertragen ist. Bei alldem erzählt er nichts Neues, und sicher gibt es
wichtigere und gewichtigere Filme über den Terror des Stalinismus und
den Zerfall von Staatsgefügen in postkommunistischer Zeit. Doch
Interesse weckt Iosseliani allemal, auch wenn einige Szenen zu lang
geraten sind und sich beim Betrachter Unruhe und Unaufmerksamkeit
einstellen. Dafür fängt der Film aber erst einmal mit dem Ende an und
deutet schon in den ersten Minuten die Ewigschleife von Gewalt und
Terror an. · Hans Messias
Historischer Bilderbogen, der drei Episoden aus der Geschichte eines
fiktiven Landes im Osten Europas beschreibt. Der Film prangert die
Grausamkeiten im Mittelalter ebenso an wie den Terror der
kommunistischen Machthaber sowie den blutigen Bürgerkrieg zur heutigen
Zeit. In Form einer düsteren Farce versucht er, Unmenschlichkeiten und
die Unbelehrbarkeit der Menschen anzuprangern. Ein Film, der die
Auseinandersetzung lohnt, auch wenn der Einsatz von vielen
Slapstick-Elementen, durch den mit dem Entsetzen Scherz getrieben
werden soll, gewiß nicht jedermanns Sache ist. - Ab 16.
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