MR. HOLLAND'S OPUS
MR. HOLLAND'S OPUS
Scope. USA 1995. Produktion:
Interscope/PolyGram/The Charlie Mopic Company. Produzenten: Ted Field,
Michael Nolin, Robert W. Cort, William Teitler. Regie: Stephen Herek.
Buch: Patrick Sheane Duncan. Kamera: Oliver Wood. Musik: Michael Kamen.
Schnitt: Trudy Ship. Darsteller: Richard Dreyfuss (Glenn Holland),
Glenne Headly (Iris Holland), Jay Thomas (Bill Meister), Olympia
Dukakis (Direktorin Jacobs), W.H. Macy (Wolters), Alicia Witt (Gertrude
Lang). 145 Min. Verleih: Buena Vista
Aus John Lennons "Beautiful Boy" stammt der Satz "Life is what happens when
you are busy making other plans". Darum geht es in Glenn Hollands Leben -
wie auch schon im Leben des Kleinstadthelden aus Frank Capras "Ist das Leben
nicht schön?" (1947), der für den Musiklehrer Holland
unübersehbar Pate gestanden hat. Hollands Dasein ist ein
immerwährender Kampf zwischen geheimen Wünschen und
alltäglichen Notwendigkeiten. Eigentlich möchte er gern
komponieren, doch zum Unterhalt seiner jungen Familie muß er dadurch
beitragen, daß er Schullehrer spielt. Es ist nicht der Beruf seiner
Träume, und er beginnt seine Tätigkeit an der
John-F.-Kennedy-High-School 1964 mit geringem Enthusiasmus. Doch Glenn
Holland ist zu sehr mit Leib und Seele Musiker, als daß er nicht
versuchen würde, auch noch jene Schüler zu animieren, die Bach
für einen amerikanischen Komponisten halten. Er scheut sich nicht, tief
in sein Innerstes zu greifen, wenn es darum geht, einem gehemmten Teenager
das Klarinettenspiel beizubringen oder einem unmusikalischen Sportler die
große Pauke schmackhaft zu machen. Notfalls läßt er sich
sogar mit Rock'n'Roll ein, denn jede Art von Musik ist ihm recht, wenn er
über sie seine Schüler erreichen kann.
"Mr.
Holland's Opus" reiht sich in eine lange Kette von Lehrerfilmen ein,
von "Abschied von einer Insel" über "Stand and Deliver" bis zu
"Dangerous Minds - Wilde Gedanken" (fd 31 693), und ruft Erinnerungen
wach, die ihm zu Anfang eine gewisse Sympathie sichern. Die erstreckt
sich auch auf die Hauptfigur, obwohl sich dieser Glenn Holland in
mancher Hinsicht - in seinem Privatleben nämlich - kaum durch
Vorbildlichkeit auszeichnet. Musikerseelen hatten auf der Leinwand
immer schon zwei Seiten, und Holland macht da keine Ausnahme. Daß
er seine Frau bisweilen reichlich nebensächlich behandelt und
seinem Sohn alles andere als ein guter Vater ist, das allein ist es
aber gar nicht, was die Sympathie für den Film hinschmilzen
läßt. Es ist vielmehr dessen Tendenz zur
Überstrapazierung unserer emotionalen Anfälligkeit, die
Aufdringlichkeit, mit der gefühlsschwangere Ereignisse aufeinander
getürmt werden, als bestehe das Leben Glenn Hollands aus nichts
als immerwährenden sentimentalen Herausforderungen.
Was dem
Haus Disney von alters her die größten Erfolge beschert hat,
sind Feel-Good-Movies, Filme, die mit der Ergriffenheit des Publikums
Schindluder treiben und den Zuschauer im falschen Wohlgefühl eines
"zutiefst menschlichen" Kinoerlebnisses entlassen. Dabei spielt es
keine Rolle, wie glaubwürdig und realistisch diese Filme sind. Sie
schaffen sich vielmehr ihre eigene Scheinrealität, die dann - wie
"Mr. Holland's Opus", der von PolyGram für Disneys Hollywood
Pictures produziert wurde - voller falscher Töne ist, wo immer man
genauer hinsieht. Glenn Holland ist einmal mehr einer jener
Möchte-gern-Komponisten, wie Klein Moritz sie sich vorstellt. Er
gestikuliert wild in der Luft herum (die Kinoidee vom musikalischen
Genius), als ob er die Inspiration aus seinem Körper
herausschwitzen müßte. Er steht vor Schülern, deren
Aggressivitätspegel während der 30 Jahre seiner
Tätigkeit unverändert auf null verharrt - Jaime Escalante
wäre über solche Schüler glücklich gewesen. Die
Produzenten von "Mr. Holland's Opus" müssen die letzten drei
Dekaden amerikanischer Schulgeschichte verschlafen haben. Die Sinfonie
seiner Träume schließlich, an der Holland sein Leben lange
gebastelt hat und die er völlig unerwartet mit einem Orchester aus
ehemaligen Schülern aufführen darf, ist ein bombastisches
Stück Musikkitsch, das jedem echten Mr. Holland die Schamröte
ins Gesicht treiben würde. Obwohl sich der Film über eine
ganze Lebensspanne erstreckt, gewinnt er doch nirgends innere
Kontinuität. Das Leben Glenn Hollands wird in leicht verdaulichen
Appetithappen gereicht, spätestens alle zehn Minuten einem neuen
emotionalen Höhepunkt zustrebend. Das einzige, was fehlt, sind die
Commercials. "Mr. Holland's Opus" ist der perfekte Fernsehfilm. Nicht
nur, weil sich zu Hause ungenierter heulen läßt, sondern vor
allem, weil ein vielsagender Handlungsentwurf auf lauter nichtssagende
Effekte reduziert wurde. Es ist eine alte Weisheit, daß des Guten
zuviel einer Sache nur schadet. "Mr. Holland's Opus" tut nicht nur des
Guten, sondern auch des Schlechten zuviel. Als des Musiklehrers
Berufsleben nach allen erdenklichen Richtungen ausgeplündert
erscheint, kommt sein Privatleben an die Reihe. Nie hätte Glenn
Holland so ergreifend über Beethovens Taubheit dozieren
können, wäre nicht sein eigener Sohn gehörlos auf die
Welt gekommen (nur erkannt haben es die aufmerksamen Eltern erst, als
das Kind schon drei Jahre alt war). Holland läßt seine
Enttäuschung an dem armen Kind aus. Doch Holland wäre nicht
Holland und Disney nicht Disney, würde er nicht später
(eigentlich viel zu spät) erkennen, wie falsch er sich verhalten
hat: Anlaß zur peinlichsten Sequenz des Films, in der ein reuiger
Vater seinen "beautiful, beautiful, beautiful boy" besingt.
An
amerikanischen Kinokassen hat sich schon erwiesen, daß das
Publikum - vornehmlich das ältere - Mr. Holland ins Herz
geschlossen hat. Verdient hat den Applaus jedoch nur Richard Dreyfuss,
der sich nicht nur mit Erfolg um 20 Jahre verjüngt, sondern der
Glenn Holland auch mit einem Hauch jener Humanität erfüllt,
die dessen Lebensgeschichte immer nur zu haben vorgibt. Wie ein
vereinzelter amerikanischer Filmkritiker sagte: "In einer Zeit der
antihumanen Unterhaltung ist dies ein Film, der von menschlichen
Beziehungen zu handeln scheint...schließlich aber nur eine
fleischlose, blutlose Hymne auf eine abstrakte Humanität ist."
(Joe Morgenstern) · Franz Everschor
30 Jahre aus dem Berufs- und Privatleben eines verhinderten Komponisten, der
seinen Lebensunterhalt als Musiklehrer verdient und die Zuneigung und
Anerkennung seiner Schüler gewinnt. Episodisches Melodram mit
unverkennbarer Tendenz zur Überstrapazierung emotionaler
Anfälligkeit des Publikums. Ein "Feel Good Movie" voller falscher
Töne, in dem nur der Hauptdarsteller Richard Dreyfuss einen Hauch
echter Humanität vermittelt. - Ab 12.
Weitere Informationen finden Sie auf den WWW-Seiten des
film-dienstes
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